Im Dialog mit Profis
Leiter Berufsbildung
Marcel Capeder
Marcel Capeder begleitet seit über zwölf Jahren Lernende auf ihrem Weg zu einem erfolgreichen Lehrabschluss. Als Leiter Berufsbildung bei der Starrag AG in Rorschacherberg ist er verantwortlich für die Ausbildung in fünf Lehrberufen. Zudem engagiert er sich als Chefexperte im Lehrberuf Konstrukteur und bringt so auch auf überregionaler Ebene seine Erfahrung in die Berufsbildung ein.

Mit welchen Herausforderungen begegnen Sie Jugendlichen in Ihrem Bereich, insbesondere im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft und Integration in die Arbeitswelt?
Viele Jugendliche haben Schwierigkeiten, verschiedene Lebensbereiche unter einen Hut zu bringen. Während für mich die Lehre selbstverständlich im Mittelpunkt stand und mein Hobby ein Ausgleich war, habe ich den Eindruck, dass heute alles gleichzeitig Priorität haben soll – was zu Stress und Orientierungslosigkeit führt. Auch das Sozialverhalten hat sich verändert. Jugendliche sind digital stark vernetzt, doch echte, direkte Gespräche werden seltener. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten, die ihnen offenstehen, riesig – das kann überfordern. Oft fehlt der Fokus, und viele wissen gar nicht mehr, warum sie etwas lernen und wie sie es später im Beruf anwenden können. Dabei dürfen wir nicht allein die Jugendlichen dafür verantwortlich machen – sie sind ein Produkt ihres Umfelds und der gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Prioritäten haben sich verändert, und Arbeit steht nicht mehr selbstverständlich an erster Stelle. Die Herausforderung für uns ist es, sie dort abzuholen, wo sie stehen. Doch das ist immer ein Kompromiss, bei dem wir an Grenzen stossen. Die Frage bleibt: Wie können wir es schaffen, das Feuer für einen Beruf wieder zu entfachen?
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Die Chance erlebt und was zeichnet diese aus?
Die Zusammenarbeit mit Die Chance erlebe ich als sehr wertvoll und gut strukturiert. In den meisten Fällen sind es die Coaches, die auf uns zukommen, wenn sie einen Jugendlichen begleiten und eine passende Möglichkeit in einem Lehrbetrieb suchen. Seltener sind wir es, die aktiv Unterstützung für einen Lernenden anfordern – aber wenn es vorkommt, ist es für uns eine grosse Hilfe, eine verlässliche Ansprechperson zu haben. Wir erleben im Betrieb immer wieder, wie viele Faktoren – auch ausserhalb der Firma – Einfluss auf den Verlauf einer Lehre haben. In solchen Situationen ist es beruhigend zu wissen, dass wir unsere Lernenden an eine kompetente Stelle vermitteln können, wo sie die nötige Unterstützung erhalten. Gleichzeitig sehen wir unsere soziale Verantwortung als Unternehmen und unterstützen Jugendliche, welche durch die Stiftung begleitet werden, unbürokratisch mit Berufserkundigungen, Schnupperlehren oder Berufseignungsabklärungen. Besonders schätze ich die Transparenz in der Zusammenarbeit. Die Coaches stellen sich nicht in den Mittelpunkt, sondern geben den Jugendlichen Raum, selbst zu sprechen – auch wenn es manchmal unangenehm ist. Diese Offenheit ist wichtig, denn sie hilft ihnen, Verantwortung für sich zu übernehmen. Für uns als Lehrbetrieb ist es eine grosse Entlastung, wenn wir uns auf die fachliche Ausbildung konzentrieren können, während die Stiftung den sozialen Teil begleitet. Die Coaches wissen genau, wann welche Unterstützung notwendig ist, und haben ein starkes Netzwerk, das sie gezielt einsetzen. Ich bin überzeugt, dass in diesem Alter jeder eine zweite, dritte oder auch vierte Chance verdient hat – und genau dabei unterstützt sie Die Chance.
Welche Entwicklungen oder Veränderungen würden Sie sich wünschen, um Jugendlichen eine noch bessere Chance zu geben?
Die Herausforderungen für Jugendliche nehmen zu, nicht ab. Die Vielzahl an Möglichkeiten – von Smartphone über Social Media bis hin zu künstlicher Intelligenz – beeinflusst ihren Alltag und ihre Konzentrationsfähigkeit. Die grosse Frage ist: Wie schaffen wir es, dass sich Jugendliche wieder echtes Fachwissen aneignen wollen? Nicht das, was man schnell nachschlagen kann, sondern das, was eine Fachperson ausmacht. Auch das kritische Denken gerät ins Hintertreffen. Viele verlassen sich auf digitale Antworten, ohne zu hinterfragen, ob sie stimmen. Dabei erleben wir im Betrieb, wie der ständige digitale Konsum ihren Alltag beeinflusst – sei es durch Schlafmangel oder fehlende direkte Kommunikation. Doch genau diese persönlichen Kontakte und echte Gespräche sind es, die ihnen oft fehlen. Ich wünsche mir, dass Jugendliche wieder stolz auf eine eigene Meinung sind, sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen und früh lernen, Verantwortung zu übernehmen. Es liegt an uns allen – Lehrbetrieben, Eltern und der Gesellschaft, ihnen den Wert von Wissen und sozialer Kompetenz zu vermitteln und sie dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg mit dem nötigen Mass an Selbstvertrauen zu gehen.